„Danke!“
Da war sie wieder, diese leise und unendlich liebevolle Stimme. Ich nahm mir ein neues Taschentuch, wischte die Tränen von meinen Wangen. Ich zerdrückte das Taschentuch in meiner Hand und legte es auf den kleinen Taschentuch-Berg, der sich vor mir auftürmte.
„Wofür denn?“ fragte ich.
„Dafür, dass Du weinst.“
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Mit einer unendlichen Sanftheit sprach die Stimme zu mir. „Weißt Du… wenn Du den Mut hast zu weinen, wenn Du alles loslässt, dann fällt eine große Last von mir. Wenn Du es zulässt, dass Du traurig bist, mutlos, erschöpft, wenn Du Dir erlaubst das auszudrücken, was in Dir ist… dann werde ich mit jeder Träne um ein kleines Stückchen leichter… der emotionale Ballast den Du mit dir herumträgst macht nicht nur Dir, sondern auch mir mein Leben schwer…“
Ich schwieg. Zunächst.
„Aber weinen ist doch ein Zeichen von Schwäche, ein Zeichen von Überforderung… eben ein Zeichen dafür dass ich mit etwas nicht zurechtkomme, zu klein, zu hilflos, zu schwach, zu… ich-weiß-nicht-was bin… auf jeden Fall nichts Gutes…“
„Nein!“, widersprach sie mir.
„Das Leben hat Dir die Tränen geschenkt, damit Du trotzdem weiter machen kannst, wenn der Schmerz zu groß wird um ihn mit Worten auszudrücken, wenn Deine Verzweiflung so stark wird, dass Du nicht mehr weiter weißt… genauso wie Du vor Glück weinst, weil das, was Du fühlst größer ist, als ich es fassen kann, so ist es auch, wenn Du traurig bist. Wenn Du Deine Tränen zurück hältst, setzt mich das unter einen immer größer werdenden Druck und ich brauche immer mehr Kraft, um im richtigen Rhythmus zu schlagen… außerdem lebe ich dann ständig in der Angst eines Tages zu explodieren, und das bringt mich ganz schön durcheinander… Deine Tränen reinigen mich.“
Ich dachte an die vielen Momente, in denen ich meine Gefühle und meine Tränen unterdrückt hatte um „stark“ zu sein… um niemanden zu zeigen wie es mir wirklich ging… und an die Enge, die in mir dadurch entstand… der Druck in der Brust der immer größer wurde…
„Da geht es uns beiden ganz ähnlich, wie es scheint…“
Ich dachte noch lange darüber nach und spürte in mich hinein. Ich fühlte die Erleichterung, ich fühlte wie der Schmerz langsam verebbte, wie der Druck in meiner Brust immer schwächer wurde und meine Lebensfreude in kleinen Schritten wieder aus ihrem Versteck kam. Ich nahm ein allerletztes Taschentuch und wischte die allerletzte Träne von meiner Wange.
„Danke!“ flüsterte die Stimme erneut.
„Ich danke Dir…“
Mein Herz strahlte.
Und ich strahlte auch… und schlief endlich erleichtert ein.
Von Herzen,