URSULA HOHLWEG

So richtig frei.

So richtig frei

Ich saß draussen auf der Terrasse und in meinem Kopf schwirrten zahllose Gedanken herum.

Und eine Frage beschäftigte mich am allermeisten: Warum fiel es mir so schwer, einfach Nein zu sagen, wenn ich etwas nicht wollte?

Unzählige Situationen und Momente reihten sich wie ein Film aneinander und ich fühlte mich so richtig klein. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Momente und Situationen vielen mir ein. Es schien mir auf einmal so, als wäre es mir eigentlich noch nie gelungen, so richtig nein zu sagen.

„Kennst Du die Geschichte vom kleinen Nein von Gisela Braun?“

„Ich weiß nicht… ich glaube nicht.“

„Dann werde ich sie Dir erzählen“, sagte die warme und vertraute Stimme in meinem Herzen.

„Es war einmal… ein kleines Nein.

Das kleine Nein saß auf einer Bank im Park und aß Schokolade. Es ist wirklich ein sehr kleines NEIN – richtig winzig und leise. Da kam eine große, dicke Frau vorbei und fragte das kleine Nein: “Darf ich mich zu Dir setzen?”

Und das kleine Nein flüsterte leise: ‚Nein, ich möchte lieber alleine hier sitzen‘.

Die große dicke Frau hörte nicht hin und setze sich neben das kleine Nein auf die Parkbank.

Da kam ein Junge angerannt und fragte das kleine Nein: ‚Darf ich Deine Schokolade haben?‘ und das kleine Nein flüsterte: ‚Nein, ich möchte sie gerne selber essen.‘ Aber der Junge hörte nicht hin, nahm dem kleinen Nein die Schokolade weg und begann sie zu essen.

Es kam ein Mann vorbei, den das kleine Nein schon oft im Park gesehen hatte und sagte: ‚Hallo Kleines. Du siehst nett aus, darf ich Dir einen Kuss geben?‘ und das kleine Nein flüsterte: ‚Nein, ich will keinen Kuss!‘ Aber auch der Mann schien nicht zu verstehen, ging auf das kleine Nein zu und wollte dem kleinen Nein einen dicken Kuss auf die Wange drücken.

Da verlor das kleine Nein endgültig die Geduld. Es stand auf, reckte sich ich die Höhe und schrie aus vollem Hals: ‚NEIIIIIIN!!!‘ Und noch einmal: ‚Nein, Nein, Nein!!! Ich will alleine auf meiner Bank sitzen, ich will meine Schokolade selbst essen und ich will nicht geküsst werden! Lasst mich sofort in Ruhe!‘

Die große, dicke Frau, der Junge und der Mann machten große Augen. ‚Ja, warum hast Du das denn nicht gleich gesagt?‘ und gingen ihrer Wege.

Und wer saß jetzt auf der Bank?

Kein kleines Nein, sondern ein großes Nein. Groß, stark und laut.

‚So ist das also. Wenn man immer leise und schüchtern Nein sagt, hören die Leute nicht hin. Man muss schon laut und deutlich Nein sagen‘, sagte das kleine Nein.

Und so ist aus dem kleinen Nein ein großes Nein geworden.“

Ich schmunzelte.

„Jedes Mal, wenn Du Ja sagst und Nein meinst, schwächst Du Dich selbst und somit auch andere. Wenn Du lernst, das Wort NEIN klar und deutlich auszusprechen, hast Du einen großen und ganz entscheidenden Schritt in Deine ganz persönliche Freiheit getan.“

Das hörte sich sehr verlockend an.

„Und nicht nur das. Denn jedes wahre, bestimmte und klare Nein ist gleichzeitig ein JA. Ein JA zu Deinen Bedürfnissen, ein JA zu dem, was in Dir lebt. Ein JA zu Dir selbst und Deinem Leben. Ein JA, das Dich stärkt und Dir Kraft gibt.“

Ich begriff allmählich. Jedes Ja, das nicht aus meinem Herzen kam war im Grunde ein Nein. Und es war nur logisch, dass diese Unklarheit nur Verwirrung in meinem Umfeld erzeugte.

„Ja, aber ich kann doch nicht auf einmal Nein sagen.“

„Doch, das kannst Du. Und ich bitte Dich von ganzem Herzen darum. Und wenn Du Deinen ganzen Mut dafür zusammen nehmen musst, sage NEIN, wenn es in Dir ein NEIN ist. Alles andere macht Dein Leben nur komplizierter, und ganz sicher nicht einfacher. Wenn Du Deine Grenzen nicht klar aufzeigst, ist es beinahe vorprogrammiert, dass andere Deine Grenzen überschreiten.“

„Und Du meinst, dass es in Ordnung ist, wenn ich ab heute einfach zu allem NEIN sage, das sich nicht gut anfühlt, zu dem, was ich nicht will?“

„Ja! Absolut. Sprich Deine Wahrheit aus. Es wird nicht nur Dir besser damit gehen, sondern auch allen Menschen, die Dich lieben. Sei bestimmt. Sei klar. Gehe weiter und sage JA zu Deinem Leben. Vertraue mir.“

Die Vorstellung, einfach NEIN zu sagen fühlte sich einfach großartig an. Ich fühlte ein eindeutiges, großes, klares und ganz starkes JA in mir.

Ein JA zum NEIN.

Ich fühlte mich so richtig frei. Ich lächelte zufrieden. Es war ein starkes, großes Lächeln.

Und mein Herz… das lächelte auch.

Von Herzen,

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Unbewusste Trauer.

Wenn wir trauern, ohne es zu wissen...

Wenn die Erfahrung eines Verlustes kaum oder gar nicht emotional erfahren und durchlebt wird oder werden kann, drückt sich die Trauerreaktion vorwiegend über körperliche Symptome aus. Der Körper übernimmt die unverarbeiteten Gefühle und entwickelt spezifische Anpassungsstrategien, die sich als chronische und/oder psychosomatische Beschwerden zeigen. Die Trauer ist so tief in uns verborgen, dass wir uns an sie nicht mehr bewusst erinnern – wir haben die Verbindung zu unseren tiefsten Gefühlen verloren.

Vielleicht gab es schon in unserer Kindheit in unserem familiären Umfeld aus den verschiedensten Gründen kein Platz für unsere Gefühle. Vielleicht war niemand da, der unsere Trauer wahrgenommen hat. Vielleicht wollten wir unsere Trauer auch gar nicht zeigen, weil wir uns für unsere Gefühle schämten oder wir unsere Eltern und Geschwister nicht belasten wollten.

Aus der Somato Emotionalen Entspannung ist Phänomen der Trauer über unvollendete biologische Prozesse bekannt. Das bedeutet, dass ein natürlich geplanter oder vorherbestimmter biologischer Ablauf nicht vollendet wurde und sich als Unwohl-Sein, Schmerz oder Störung im Körper manifestiert. Dies kann eine Schwangerschaft sein, die durch eine Fehlgeburt oder einen Not-Kaiserschnitt nicht dem biologischen Programm gemäß vollendet wurde. Oder eine Geburt, bei der das Bonding mit dem Baby nicht in der optimalen Form möglich war. Auch ein gestörter Prozess der Reproduktion durch Sterilisation oder Kinderlosigkeit kann zu körperlichen Trauerprozessen führen.

Aber auch der Verlust der körperlichen Unversehrtheit durch Operationen, durch schwere Krankheiten oder der Verlust von biologischen Funktionen und körperlichen Fähigkeiten wie z.B. durch eine Sterilisation, eine Amputation oder die Entfernung eines Organs können biologische Trauerprozesse und entsprechende psychosomatische Beschwerden auslösen, wenn sich Betroffene des Verlustes nicht bewusst sind und diesen weder verarbeitet noch integriert haben.

Und schließlich kann es auch sein, dass wir um etwas trauern, das wir niemals hatten – beispielsweise eine unbeschwerte Kindheit, wenn wir ohne Vater, Mutter, Großeltern oder Geschwister aufwuchsen. Wenn wir viel zu früh erwachsen werden mussten durch kranke, traumatisierte oder süchtige Eltern, um die wir uns kümmern mussten oder weil wir selbst krank und lange Zeit im Spital auf uns selbst gestellt waren. Viele von uns trauern tief in ihrem Inneren, weil sie in einem Umfeld aufwuchsen, in dem ihr wahres Potenzial nicht erkannt, gesehen und gefördert wurde, weil sie nie vollständig und ganz wahrgenommen wurden, so wie sie wirklich sind – ihr Licht, ihre Liebe und ihre Seele.

Wenn wir von Anfang an mit solchen Verlusten leben müssen, dann wird der Verlust „normal“ und wir haben ganz vergessen, dass wir eine tiefe Traurigkeit in uns tragen, die gesehen, gefühlt und erlöst werden will.

Es gibt fünf verschiedene Formen von unbewusster Trauer, die sich besonders gravierend auf unser Leben auswirken: Verlust in vorgeburtlicher Zeit, Verlust einer heilen Geburtserfahrung, Verlust von Urvertrauen im Kindesalter, Verluste aus früheren Leben, Übernommene Verluste aus dem Ahnenfeld. 

Mehr Informationen dazu findest Du im Blog-Artikel „Unbewusste Trauer“.

Komplizierte Trauer.

Wenn Trauer kompliziert wird...

Werden die Gefühle der Trauer aus verschiedensten Gründen verneint, unterdrückt oder nur teilweise durchlebt, kann der Verlust im Laufe der Zeit nicht auf gesunde Weise verarbeitet und integriert werden. Die Auseinandersetzung mit dem Schmerz bleibt aus – wir bleiben in Trauerkrisen verhaftet.

Vor allem dann, wenn Betroffene sich selbst nicht erlauben zu trauern, sich für ihre Trauer schämen oder ihre Trauer aus verschiedenen persönlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Gründen nicht leben können, verkompliziert sich der Trauerprozess.

Die Trauer wird unterdrückt, dauert sehr lange an oder ist mit extremen Gefühlen verbunden – wie beispielsweise starkem Zorn oder extrem starken Schuldgefühlen. Diese Probleme hängen oft mit einer sehr ambivalenten und stark belasteten Beziehung zum Verstorbenen zusammen.

Die nicht verarbeitete Trauer kann sich in Depression, in Panik- und Angstzuständen, in verschiedensten psychosomatischen und körperlichen Symptomen ausdrücken und sogar Suchterkrankungen nach sich ziehen. Wir verlieren den positiven Blick auf uns und unser Leben, unsere Perspektiven und unseren Lebensmut.

Auch bereits länger zurückliegende Verluste, die noch nicht verarbeitet wurden, können eine große Belastung für Betroffene und ihr Umfeld darstellen und zu ungesunden und dauerhaften Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen führen.

Zieht sich der/die Trauernde sozial stark zurück, verspürt starke Schuldgefühle oder lang anhaltende Gefühle von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Verbitterung, leidet unter psychosomatischen Symptomen (Schlaflosigkeit, Brust- oder Herzschmerzen, Gewichtsabnahme, etc.) oder äußert den Wunsch, dem Verstorbenen zu folgen oder ohne das Verlorene nicht weiter leben zu können, ist eine professionelle psychologische Beratung oder Psychotherapie dringend anzuraten.

Erschwerte Trauer.

Wenn Trauer unerträglich ist...

Plötzlich und unerwartete sowie traumatische Todesfälle können den Trauerprozess erschweren oder verhindern beziehungsweise die Trauerreaktionen stark intensivieren.

Wenn Menschen durch eigene Hand (Suizid) aus dem Leben scheiden, ist der Prozess des Abschied-Nehmens und des Trauerns für die Hinterbliebenen sehr komplex. Trauer und Schmerz mischen sich mit Wut und Schuldgefühlen und quälenden Fragen nach dem Warum und was man hätte tun können, um es zu verhindern.

Hinzu kommt, dass das Thema Suizid in unserer Gesellschaft tabubehaftet ist – Betroffene sind mit einem stark verunsicherten Umfeld konfrontiert oder verschweigen den Suizid aus Schamgefühl oder um das Andenken des Verstorbenen nicht zu beschmutzen.

Der Tod des eigenen Kindes (plötzlicher Kindstod, Unfall, Krankheit, Drogenmissbrauch, Selbsttötung oder Gewaltverbrechen) stürzt die Hinterbliebenen und ihre gesamtes Umfeld meist in eine tiefe persönliche, partnerschaftliche und familiäre Krise. Nach einer Fehlgeburt, einer stillen Geburt oder dem Tod eines Neugeborenen fehlt im Umfeld häufig das Verständnis für die Gefühle und Bedürfnisse verwaister Eltern. 

Ein medizinisch notwendiger oder von den Eltern gewollter  Schwangerschaftsabbruch stellt ebenfalls eine traumatische Erfahrung und eine große Belastung für die Eltern und auch ihre Beziehung dar. Das Verständnis, dass nach einer bewussten Entscheidung zur Beendigung einer Schwangerschaft großer Schmerz, tiefe Trauer und starke Schulgefühle auftreten, fehlt meistens.

Auch unklare Verlustsituationen bei verschwundenen, verschollenen oder vermissten Personen, eine besonders belastete Beziehungssituation (körperlicher oder emotionaler Missbrauch, Co-Abhängigkeit),  vorausgegangene nicht bewältigte Verlusterfahrungen, soziale Isolation, ein fehlender emotionaler Austausch im persönlichen Umfeld sowie die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Verlust können eine natürliche Verarbeitung erschweren, verlängern oder sogar unmöglich machen.