Bindung und Verlust: Wie emotionale Verbindungen unsere Trauer prägen

Schmetterling auf Blume für Bindung und Verlust bei trauerlicht.at mit Ursula Hohlweg

Inhaltsverzeichnis

Der Hunger des kleinen Kindes nach der Liebe und Gegenwart seiner Mutter ist so groß wie der Hunger nach Essen.“ – John Bowlby, 1973

Trauer ist ein tiefes Erlebnis, das oft mit dem Verlust eines geliebten Menschen verbunden ist. Um diesen Schmerz zu verstehen, müssen wir die Kraft unserer Bindungen betrachten. Bindung ist das unsichtbare Band, das uns Sicherheit, Trost und Geborgenheit schenkt – besonders in Zeiten von Angst oder Gefahr. In diesem Artikel tauchen wir in die Bindungstheorie ein, erforschen ihre Wurzeln und zeigen, wie sie Deinen Trauerprozess beeinflusst. Bei trauerlicht begleite ich Dich als Trauerbegleiterin, Lebensberaterin und Craniosacral-Therapeutin, um Deinen Weg durch die Trauer bewusst und liebevoll zu gestalten.

Was ist Bindung? Der Kern unserer Beziehungen

Bindung ist das emotionale Band, das uns mit besonderen Menschen verbindet – Eltern, Partner:innen, Freund:innen –, die uns in Momenten von Unsicherheit oder Bedrohung Halt geben. John Bowlby, der Begründer der Bindungstheorie, beschrieb Bindung als ein angeborenes, evolutionäres System, das unser Überleben sichert. Es ist kein bloßer Instinkt wie Hunger, sondern ein tiefes Bedürfnis – nach Nähe, Vertrauen und Geborgenheit.

Besonders in der Kindheit prägen Bindungen unsere Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten und mit Verlusten umzugehen. Eine sichere Bindung ist wie ein sicherer Hafen: Sie gibt dir Mut, die Welt zu erkunden, und eine Basis, zu der du in stürmischen Zeiten zurückkehren kannst. Bowlby betonte, dass diese Bindungen unser Leben lang bestehen und unsere Reaktionen auf Verluste maßgeblich beeinflussen.

Die Wurzeln der Bindung: Ein evolutionäres Geschenk

Die Bindungstheorie wurzelt in der Ethologie, der Verhaltensforschung. Bowlby ließ sich von Studien wie jenen von Konrad Lorenz inspirieren, die zeigten, wie Jungtiere instinktiv ihrer Mutter folgen, oder von Harry Harlows Experimenten mit jungen Affen, die Nähe zu einer weichen „Stoffmutter“ der Nahrung vorzogen.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen: Bindung entsteht nicht allein durch biologische Bedürfnisse wie Nahrung, sondern durch das Bedürfnis nach Schutz und emotionaler Sicherheit. Dieses Verhalten ist tief in unserer Biologie verankert und hilft uns einerseits zu überleben und andererseits in Krisen Trost zu finden – ein Mechanismus, der in der Trauer besonders wichtig wird.

Wie Bindung entsteht: Die vier Phasen

Bowlby beschrieb vier Phasen, in denen sich das Bindungssystem in der Kindheit entwickelt:

  • Phase 1: Geburt bis 12 Wochen – Babys reagieren positiv auf jede Zuwendung, ohne bestimmte Personen zu bevorzugen. Lächeln und Blickkontakt fördern erste Verbindungen.
  • Phase 2: 3 bis 6 Monate – Kinder zeigen eine Vorliebe für vertraute Bezugspersonen, wie Mutter oder Vater, und suchen deren Nähe gezielt.
  • Phase 3: 6 bis 12 Monate – Klare Bindungsmuster entstehen. Kinder entwickeln die Objektpermanenz – sie wissen, dass geliebte Personen auch dann existieren, wenn sie nicht sichtbar sind.
  • Phase 4 – Ab dem Kindergartenalter: Kinder erkennen die Bedürfnisse anderer und entwickeln eine „zielkorrigierte Partnerschaft“, die auf gegenseitigem Verständnis basiert.

Durch feinfühlige, verlässliche Bezugspersonen entsteht eine sichere Bindung, die Vertrauen in die Welt schafft. Dieses Urvertrauen, wie es Erik Erikson nannte, ist die Basis für emotionale Resilienz im Erwachsenenalter.

Die Rolle der Bezugsperson: Feinfühligkeit als Schlüssel

Eine sichere Bindung entsteht also, wenn Bezugspersonen die Signale eines Kindes – wie Weinen, Lächeln oder Anklammern – wahrnehmen, richtig deuten und einfühlsam darauf reagieren. Körperkontakt, liebevolle Worte und ein beruhigender Blickkontakt schaffen Geborgenheit. Fehlt diese Feinfühligkeit, etwa durch Vernachlässigung oder Unberechenbarkeit, können unsichere Bindungsmuster entstehen, die den Umgang mit Verlust erschweren.

Bindungsstile: Wie wir Beziehungen und Verlust erleben

Mary Ainsworth erweiterte Bowlbys Arbeit mit der „Fremden Situation“, einer Studie, die Bindungsverhalten bei Kindern untersuchte. Sie identifizierte vier Bindungsstile, die unser Verhalten in Beziehungen und Trauer prägen:

  • Sichere Bindung (ca. 50 %): Menschen mit sicherer Bindung suchen Trost bei Bezugspersonen und können Verluste besser verarbeiten, da sie Vertrauen in sich und andere haben.
  • Unsicher-vermeidende Bindung (ca. 25 %): Diese Menschen zeigen wenig emotionale Reaktionen, vermeiden Nähe und ziehen sich in der Trauer oft zurück, auch wenn sie innerlich leiden.
  • Unsicher-ambivalente Bindung (ca. 15 %): Sie suchen intensiv Nähe, reagieren aber ambivalent – oft mit Wut oder Unsicherheit – und haben Schwierigkeiten, Trost anzunehmen.
  • Desorganisierte Bindung (5–10 %): Häufig bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen, zeigt sich in widersprüchlichen Verhaltensweisen ohne klare Strategie.

In der Trauer aktiviert ein Verlust das Bindungssystem. Sichere Bindung erleichtert es, Gefühle auszudrücken und Trost zu suchen. Unsichere Bindung kann zu intensiver Bindungsangst (z. B. übermäßiges Festhalten) oder Bindungsvermeidung (z. B. emotionale Distanz) führen, was den Trauerprozess komplizieren kann.

Bindung und Trauer: Ein tiefes Zusammenspiel

Der Verlust eines geliebten Menschen weckt das Bedürfnis, die verlorene Bindung wiederherzustellen. Reaktionen wie Weinen, Sehnsucht oder Rückzug sind natürliche Versuche, die Verbindung zu halten. Bowlby betonte, dass Trauer ein biologisch verankertes Verhalten ist, das Zeit und Raum braucht.

Wenn die Bindung nicht wiederhergestellt werden kann, können Gefühle wie Apathie, Verzweiflung oder Schuld auftreten. Die Qualität unserer Bindungen – ob sicher oder unsicher – beeinflusst, wie intensiv und wie lange wir trauern. Ein Verlust kann auch frühere Bindungserfahrungen reaktivieren, z. B. Ängste oder Unsicherheiten aus der Kindheit, die die Trauer verstärken.

Trauerbegleitung: Ein sicherer Hafen in der Trauer

In meiner Arbeit als Trauerbegleiterin und Craniosacral-Therapeutin schaffe ich einen Raum, in dem Du Deine Trauer sicher ausdrücken kannst. Die Bindungstheorie hilft mir, Deine Reaktionen – sei es Rückzug, Wut oder das Bedürfnis nach Nähe – im Kontext Deiner Bindungsgeschichte zu verstehen. Durch einfühlsame Gespräche biete ich Dir eine „sichere Basis“, in der Du Dich öffnen kannst, ohne Angst vor Bewertung.

Craniosacral-Therapie unterstützt Dich, körperliche Spannungen, die oft mit Trauer einhergehen, zu lösen und Dich wieder mit Deinem Körper zu verbinden. Diese Kombination aus Gespräch und Berührung kann Dir helfen, emotionale Sicherheit zu finden und Deinen Verlust Schritt für Schritt zu integrieren.

Dein Weg beginnt hier

Bindungen sind das Herz unseres Lebens – sie geben uns Halt, Sicherheit und Geborgenheit aber machen unsere Verluste erst so schmerzhaft. Die Bindungstheorie zeigt, warum Trauer so individuell ist und wie unsere frühen Erfahrungen unseren Umgang mit Verlust und Trauer prägen.

Eine sichere Bindung legt den Grundstein für Resilienz im Erwachsenenalter. Doch selbst wenn frühe Bindungen unsicher waren, können neue, unterstützende Beziehungen – etwa in der Trauerbegleitung – Heilung fördern. Denn jeder Mensch trägt die Fähigkeit in sich, emotionale Sicherheit aufzubauen, wenn er sich verstanden, angenommen und gehalten fühlt.

Möchtest Du mehr über die Rolle von Bindung in Deiner Trauer erfahren oder heilsame Unterstützung in der Trauerbegleitung finden? Ich stehe Dir bei trauerlicht zur Seite, um diesen Weg mit Dir zu gehen – mit Gesprächen, achtsamer Berührung und einem offenen Herzen. Gemeinsam schaffen wir einen Raum für Deine Trauer und Deine Heilung.

Ich bin da für Dich.

Von Herzen,

Ursula =)

Unbewusste Trauer.

Wenn wir trauern, ohne es zu wissen...

Wenn die Erfahrung eines Verlustes kaum oder gar nicht emotional erfahren und durchlebt wird oder werden kann, drückt sich die Trauerreaktion vorwiegend über körperliche Symptome aus. Der Körper übernimmt die unverarbeiteten Gefühle und entwickelt spezifische Anpassungsstrategien, die sich als chronische und/oder psychosomatische Beschwerden zeigen. Die Trauer ist so tief in uns verborgen, dass wir uns an sie nicht mehr bewusst erinnern – wir haben die Verbindung zu unseren tiefsten Gefühlen verloren.

Vielleicht gab es schon in unserer Kindheit in unserem familiären Umfeld aus den verschiedensten Gründen kein Platz für unsere Gefühle. Vielleicht war niemand da, der unsere Trauer wahrgenommen hat. Vielleicht wollten wir unsere Trauer auch gar nicht zeigen, weil wir uns für unsere Gefühle schämten oder wir unsere Eltern und Geschwister nicht belasten wollten.

Aus der Somato Emotionalen Entspannung ist Phänomen der Trauer über unvollendete biologische Prozesse bekannt. Das bedeutet, dass ein natürlich geplanter oder vorherbestimmter biologischer Ablauf nicht vollendet wurde und sich als Unwohl-Sein, Schmerz oder Störung im Körper manifestiert. Dies kann eine Schwangerschaft sein, die durch eine Fehlgeburt oder einen Not-Kaiserschnitt nicht dem biologischen Programm gemäß vollendet wurde. Oder eine Geburt, bei der das Bonding mit dem Baby nicht in der optimalen Form möglich war. Auch ein gestörter Prozess der Reproduktion durch Sterilisation oder Kinderlosigkeit kann zu körperlichen Trauerprozessen führen.

Aber auch der Verlust der körperlichen Unversehrtheit durch Operationen, durch schwere Krankheiten oder der Verlust von biologischen Funktionen und körperlichen Fähigkeiten wie z.B. durch eine Sterilisation, eine Amputation oder die Entfernung eines Organs können biologische Trauerprozesse und entsprechende psychosomatische Beschwerden auslösen, wenn sich Betroffene des Verlustes nicht bewusst sind und diesen weder verarbeitet noch integriert haben.

Und schließlich kann es auch sein, dass wir um etwas trauern, das wir niemals hatten – beispielsweise eine unbeschwerte Kindheit, wenn wir ohne Vater, Mutter, Großeltern oder Geschwister aufwuchsen. Wenn wir viel zu früh erwachsen werden mussten durch kranke, traumatisierte oder süchtige Eltern, um die wir uns kümmern mussten oder weil wir selbst krank und lange Zeit im Spital auf uns selbst gestellt waren. Viele von uns trauern tief in ihrem Inneren, weil sie in einem Umfeld aufwuchsen, in dem ihr wahres Potenzial nicht erkannt, gesehen und gefördert wurde, weil sie nie vollständig und ganz wahrgenommen wurden, so wie sie wirklich sind – ihr Licht, ihre Liebe und ihre Seele.

Wenn wir von Anfang an mit solchen Verlusten leben müssen, dann wird der Verlust „normal“ und wir haben ganz vergessen, dass wir eine tiefe Traurigkeit in uns tragen, die gesehen, gefühlt und erlöst werden will.

Es gibt fünf verschiedene Formen von unbewusster Trauer, die sich besonders gravierend auf unser Leben auswirken: Verlust in vorgeburtlicher Zeit, Verlust einer heilen Geburtserfahrung, Verlust von Urvertrauen im Kindesalter, Verluste aus früheren Leben, Übernommene Verluste aus dem Ahnenfeld. 

Mehr Informationen dazu findest Du im Blog-Artikel „Unbewusste Trauer“.

Komplizierte Trauer.

Wenn Trauer kompliziert wird...

Werden die Gefühle der Trauer aus verschiedensten Gründen verneint, unterdrückt oder nur teilweise durchlebt, kann der Verlust im Laufe der Zeit nicht auf gesunde Weise verarbeitet und integriert werden. Die Auseinandersetzung mit dem Schmerz bleibt aus – wir bleiben in Trauerkrisen verhaftet.

Vor allem dann, wenn Betroffene sich selbst nicht erlauben zu trauern, sich für ihre Trauer schämen oder ihre Trauer aus verschiedenen persönlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Gründen nicht leben können, verkompliziert sich der Trauerprozess.

Die Trauer wird unterdrückt, dauert sehr lange an oder ist mit extremen Gefühlen verbunden – wie beispielsweise starkem Zorn oder extrem starken Schuldgefühlen. Diese Probleme hängen oft mit einer sehr ambivalenten und stark belasteten Beziehung zum Verstorbenen zusammen.

Die nicht verarbeitete Trauer kann sich in Depression, in Panik- und Angstzuständen, in verschiedensten psychosomatischen und körperlichen Symptomen ausdrücken und sogar Suchterkrankungen nach sich ziehen. Wir verlieren den positiven Blick auf uns und unser Leben, unsere Perspektiven und unseren Lebensmut.

Auch bereits länger zurückliegende Verluste, die noch nicht verarbeitet wurden, können eine große Belastung für Betroffene und ihr Umfeld darstellen und zu ungesunden und dauerhaften Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen führen.

Zieht sich der/die Trauernde sozial stark zurück, verspürt starke Schuldgefühle oder lang anhaltende Gefühle von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Verbitterung, leidet unter psychosomatischen Symptomen (Schlaflosigkeit, Brust- oder Herzschmerzen, Gewichtsabnahme, etc.) oder äußert den Wunsch, dem Verstorbenen zu folgen oder ohne das Verlorene nicht weiter leben zu können, ist eine professionelle psychologische Beratung oder Psychotherapie dringend anzuraten.

Erschwerte Trauer.

Wenn Trauer unerträglich ist...

Plötzlich und unerwartete sowie traumatische Todesfälle können den Trauerprozess erschweren oder verhindern beziehungsweise die Trauerreaktionen stark intensivieren.

Wenn Menschen durch eigene Hand (Suizid) aus dem Leben scheiden, ist der Prozess des Abschied-Nehmens und des Trauerns für die Hinterbliebenen sehr komplex. Trauer und Schmerz mischen sich mit Wut und Schuldgefühlen und quälenden Fragen nach dem Warum und was man hätte tun können, um es zu verhindern.

Hinzu kommt, dass das Thema Suizid in unserer Gesellschaft tabubehaftet ist – Betroffene sind mit einem stark verunsicherten Umfeld konfrontiert oder verschweigen den Suizid aus Schamgefühl oder um das Andenken des Verstorbenen nicht zu beschmutzen.

Der Tod des eigenen Kindes (plötzlicher Kindstod, Unfall, Krankheit, Drogenmissbrauch, Selbsttötung oder Gewaltverbrechen) stürzt die Hinterbliebenen und ihre gesamtes Umfeld meist in eine tiefe persönliche, partnerschaftliche und familiäre Krise. Nach einer Fehlgeburt, einer stillen Geburt oder dem Tod eines Neugeborenen fehlt im Umfeld häufig das Verständnis für die Gefühle und Bedürfnisse verwaister Eltern. 

Ein medizinisch notwendiger oder von den Eltern gewollter  Schwangerschaftsabbruch stellt ebenfalls eine traumatische Erfahrung und eine große Belastung für die Eltern und auch ihre Beziehung dar. Das Verständnis, dass nach einer bewussten Entscheidung zur Beendigung einer Schwangerschaft großer Schmerz, tiefe Trauer und starke Schulgefühle auftreten, fehlt meistens.

Auch unklare Verlustsituationen bei verschwundenen, verschollenen oder vermissten Personen, eine besonders belastete Beziehungssituation (körperlicher oder emotionaler Missbrauch, Co-Abhängigkeit),  vorausgegangene nicht bewältigte Verlusterfahrungen, soziale Isolation, ein fehlender emotionaler Austausch im persönlichen Umfeld sowie die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Verlust können eine natürliche Verarbeitung erschweren, verlängern oder sogar unmöglich machen.